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Buchbesprechung: Iksaka Banu – Alles für Hindia!

»Alles für Hindia!« – Ereignisse und Dialoge aus einer wahrlich anderen Zeit

 

Mit seinen Kurzerzählungen bringt Iksaka Banu dem deutschsprachigen Publikum ausgewählte Episoden der jahrhundertelangen Kolonialgeschichte des indonesischen Archipels nahe. Seine durchaus lehrreiche Prosa ist dabei unterhaltsam ohne den geschichtlichen Kontext zu banalisieren.

von Svann Langguth

 

Iksaka Banu während einer Diskussionsveranstaltung an der Soedirman Universität, 2019; Quelle: von privat / Iksaka Banu

 

Seit dem großartigen Auftritt Indonesiens als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse 2015 gab es eine einige Übersetzungen neuerer indonesischer Literatur. Das moderne Indonesien rückte sich selbst ins Rampenlicht, als eine Nation, in der aktuelle Diskurse auch literarisch verarbeitet werden. Die Genderdebatte fand da ihren Niederschlag oder das Selbstbild der Jugend im Spannungsfeld zwischen urbanem Leben und dörflicher Tradition, aber auch die weiterhin brodelnde und ungelöste Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte wurde thematisiert.

 

Alles für Hindia! schlägt eine ganz andere Richtung ein. Der Autor Iksaka Banu wendet sich in dem Kurzgeschichtenband der kolonialen Geschichte zu. Beginnend mit einer Episode aus dem Ende des Unabhängigkeitskampfes der jungen Republik Indonesia im Jahr 1945 führt uns der Autor anhand ausgewählter Ereignisse bis zu den Anfängen der niederländischen Besitzergreifung des Archipels im 16. Jahrhundert. Es sind historische Miniaturen, gut recherchiert und fein ausgearbeitet, meist von einem männlichen Ich-Erzähler, einmal auch aus der Sicht einer Frau erzählt. Die historischen Hintergründe der Situationen werden dem Leser in Rückblicken und durch Erinnerungen unaufdringlich nahegebracht, aber auch ohne den Kontext sind die Erzählungen gut zu verstehen.

 

Das Buch

 

Der Kurzgeschichtenband Alles für Hindia! herausgegeben 2020 im OSTASIEN Verlag ist die 180 Seiten lange deutsche Ausgabe des 2014 bei KPG (Kepustakaan Populer Gramedia) veröffentlichen Buches Semua untuk Hindia. Die sehr gelungene Übersetzung der 13 Kurzgeschichten leistete Sabine Müller. Sie stellt den Erzählungen zudem eine sehr gute Einführung voran und verfasste, neben einem hilfreichen Glossar, auch zu den einzelnen Erzählungen kurze Beiträge, die den geschichtlichen Hintergrund erläutern, für Leser, die sich mit der Kolonialgeschichte Indonesiens nicht auskennen.

 

Zu den Geschichten

 

Ohne allzu viel verraten zu wollen, es sind sorgfältig recherchierte Momentaufnahmen kolonialer Lebenswirklichkeiten, die Iksaka Banu zu einfühlsamen Miniaturen verarbeitet. So führt die Erzählung »Bühnenstück für zwei Säbel« den Leser in die Gedankenwelt einer jungen Frau, die sowohl die Mätresse eines niederländischen Plantagenbesitzers ist, als auch die Geliebte eines Schauspielers eines Wandertheaters. In einem bewegenden und mitreißenden Dialog wird dem Lesepublikum das Schicksal und die Perspektive einer jungen Frau vorgestellt, die ein Leben als inoffizielle Ehefrau eines Niederländers führt  – einerseits herausgehoben und finanziell besser gestellt als die meisten »Einheimischen«, andererseits aber doch entrechtet und unabgesichert. Ebenfalls mit dem Thema der zwischenmenschlichen Beziehungen im Spannungsfeld kolonialer Machtstrukturen beschäftigt sich die Geschichte »Gift für den Herrn«, diesmal aber aus der Perspektive des niederländischen Mannes erzählt. Auch die Kinder aus solchen Beziehungen tauchen in den Erzählungen in Alles für Hindia! auf. So ist einer der Protagonisten in »Lagerhaus Nummer 012B« der Sohn einer Indonesierin und eines Niederländers, ein sogenannter Indo. Die Erzählung setzt sich unter anderem mit der unterschiedlichen Herangehensweise an spirituelle Vorstellungen der »westlichen und östlichen« Kulturen auseinander, und der Nachkomme aus den beiden Kulturen, sieht sich einerseits mit dem Rassismus der Kolonialherren konfrontiert, andererseits ist er aber auch in der Schnittstelle beider Herangehensweisen an Geisterglaube gefangen.

 

Andere Erzählungen knüpfen an bekannte historische Ereignisse an oder beziehen sich direkt auf diese, so der Pogrom gegen die chinesischstämmige Bevölkerung in Batavia in »Sternschnuppe« oder eine Begegnung mit dem javanischen Freiheitskämpfer Prinz Diponegoro in »Pollux«.

 

Die Darstellungen Iksaka Banus sind dabei keineswegs stereotyp; das geschichtliche Setting ist von ihm geschickt durchwoben worden, und meist sind es mehrere historische Stränge, die in den Erzählungen verknüpft sind. Man hat manchmal das Gefühl, dass man in eines der kleine Dioramen hineingezogen wird, die in indonesischen Museen so verbreitet sind, um die Nationalgeschichte zu verdeutlichen. Aber der Fokus der Erzählungen wird auf eine der Nebenfiguren gelenkt. Es sind die unbekannten Akteure, die zwar die Geschichte nicht schreiben, aber an den Ereignissen beteiligt sind und deren Leben vom großen Weltgeschehen wesentlich beeinflusst wird. Gelungen ist dabei nicht nur das geschickte Einbringen historischer Information in den Erzählfluss, sondern auch die Dialoge. Sie sind in keiner Weise historisierend, sondern wirken zutiefst human und lassen somit den Eindruck beim heutigen Leser entstehen, sich in die Zeit und die Gedanken der damaligen Personen hineinversetzen zu können.

 

Wie kontrovers die eigene Geschichte nach wie vor wirken kann, zeigen Reaktionen des Publikums bei Lesungen in Indonesien aber auch die Rezeption im Ausland. So wurde Iksaka Banu sowohl vom indonesischen als auch vom niederländischen Publikum Vorwürfe gemacht, er würde die »Kolonialherren« zu positiv darstellen. Hier zeigt sich, dass noch viel ideologische Aufarbeitung nötig ist, um eine neutrale Herangehensweise an die eigene (nationale) Identität zu ermöglichen.

 

Eine Lektüre für den heimischen Winter und die nächste Reise nach Indonesien

 

Der Erzählband Alles für Hindia! von Iksaka Banu in der Übersetzung von Sabine Müller ist ein unbeschränkt empfehlenswertes Buch. Die Geschichten sind mitreißend und einfühlsam geschrieben. Das interessierte Publikum sollte keine Sorge haben, sich mit einer fernen oder abseitigen Geschichtsschreibung konfrontiert zu sehen. Iksaka Banu nimmt uns mit in die jeweilige Stimmung der Zeit, in die Lage der Personen; wir sind mit der Vergangenheit verknüpft und werden durch die menschlichen Umstände vereinnahmt und geführt. Das historische Setting der Erzählungen ist dabei mehr als nur eine Kulisse, es ist der formende Faktor, der die Personen handeln und entscheiden lässt, und uns, die Lesenden die Konflikte und Motive nachempfinden lässt. Wie man sich auf die historischen Details einlassen oder daran erfreuen will, bleibt der Leserschaft selber überlassen. Das für eine Prosasammlung umfangreiche Glossar hilft beim Verständnis der kolonialen und der malaiischen Termini.

 

 

Über den Autor | Svann Langguth

Er hat Sprachen und Kulturen Austronesiens in Hamburg studiert und anschließend an der Universität zu Köln in Malaiologie/Indonesischer Philologie promoviert. Derzeit ist er als Projektmanager für eine deutsch-indonesische Wissenschaftkooperation tätig. Zuvor lebte er viele Jahre in Indonesien, wo er unter anderem Leiter der Abteilung Wissenschaft und Technologie an der Deutschen Botschaft und Mitarbeiter des DAAD-Büros in Jakarta war. Er unterrichtete an der Universitas Indonesia in Depok und an der Universitas Padjadjaran in Bandung.

 

 

 

Zum Weiterlesen | Aus Iksaka Banus Kurzgeschichtenband Alles für Hindia! lesen Sie auf Indonesien Magazin Online die Episode »Die Hand des Ratu Adil«.

 

 


 

Anmerkungen Redaktion (Ankertext)

 

Indo | Indo/Indos bezeichnet meist abschätzig Menschen in Niederländisch-Indien, die einen europäischen Rechtsstatus genossen, aber von gemischter Abstammung waren. Übersetzt auch einfach mit »indonesisch- europäischer Mischling»,  bei E. D. Krause, Größes Wörterbuch Indonesisch-Deutsch,  Buske Verlag, 2010.

 

Kategorie: Kultur